Ich erinnere mich an einen meiner ersten Trainingseinheiten an einer Weiterbildung mit einer Polizeieinheit. Ich war irritiert als morgens um 07.40 Uhr ein Duzend Polizisten im Saal warteten und mich bei den Vorbereitungen für den Workshop, der um 0800 Uhr beginnen würde, beobachteten. Ich empfand dies als unhöflich, nicht rücksichtsvoll. Die zuständige Person seitens der Polizei bemerkte mein Unbehagen. Er schmunzelte und sagte „Mark, das ist keineswegs ein Zeichen von Unhöflichkeit oder so etwas. Unhöflich wäre es, wenn die Polizeibeamten um 0802 Uhr antraben würden.“ „Aber das ist doch näher an 0800 als 0740?“ Sie verstehen, was ich sagen will. Wir machen alle Zuschreibungen über den Umgang mit Zeit, je nach sozialer Kondition oder nach kulturelle Programmierung.
Wir, in der Schweiz, haben, nehmen, verfügen, sparen, schenken, nehmen, bestimmen und verschwenden (oder nicht...) Zeit. Wir brauchen die Zeit als Einheit, um unser Leben im Privaten und an der Arbeit, zu gestalten.
Zeit ist in vielen westlichen Kulturen eine Ressource wie Geld oder Essen. Das wissen wir. Was uns teils weniger bewusst ist: Wir benutzen bewusst und teils weniger bewusst, den Umgang mit Zeit um Zuschreibungen und Bewertungen von anderen Menschen zu machen. Kommt jemand nicht genau zu der Zeit, wo wir ihn oder sie erwartet haben, sagen wir vielleicht: „Er hat wenig Respekt vor diesem Gericht“ oder „Sei doch anständig!“. Monochrone Kulturen erkennt man zum einen daran, dass in der Regel eine Aufgabe nach der anderen „abgearbeitet““ wird. Zum anderen wird stets versucht, gesetzte Deadlines einzuhalten. Redewendungen wie „Alles hat seine Zeit “ oder „Eins nach dem anderen “ sind Ausdrücke dieser Kulturen im Umgang mit der Dimension Zeit. Der Fokus liegt auf einer bestimmten Angelegenheit, einem Thema oder einer Beziehung.
In gewissen Kulturen wie in Italien, Griechenland oder dann auch auf dem afrikanischen und südamerikanischen Kontinent ist Zeit keine Ressource, sondern eher ein Nebenfaktor. Zeit, Wind, Sonne, das alles gibt uns die Natur, aber wir bestimmen sie nicht stark oder gar nicht. Um das Leben zu Planen und zu Organisieren, werden neben der Zeit andere Faktoren stärker benutzt.
Es gibt viele andere, auch geeignete Denkweisen, um sich zu Organisieren und Prioritäten zu setzen. Diese sogenannten polychronen Kulturen hingegen sind dadurch geprägt, dass ein größerer Wert auf einen parallel-gestalteten Umgang mit Zeit gelegt wird. Das heißt, dass es in solchen Gesellschaften üblich ist – und damit erwartet wird – das Menschen gleichzeitig verschiedene Angelegenheiten erledigen, gleichzeitig verschiedene Themen bearbeiten und gleichzeitig verschiedene (Geschäfts-)Beziehungen pflegen.
Wenn ich in Ghana in ein Dorfladen gehe, wird nicht der Erste der den Laden betrat bedient, sondern die älteste Person, dann natürlich die Frauen und Kinder und zuletzt die jüngeren Männer. Ist doch ganz logisch! Wenn ich in Thailand ein Visum verlängern will, gehe zum Immigrationsbüro, melde mein Anliegen an und warte bis die zuständige Person andere Dinge erledigt hat und mich dann irgendwann bedient. In der kulturellen Vielfalt unserer Welt wird Zeit also sehr unterschiedlich benutzt, bewertet und je nachdem als ein wichtiges oder beiläufiges Kriterium zur Organisation des Lebens eingesetzt. In sogenannten polychronen Kulturen geschieht vieles gleichzeitig, parallel.
Als interkulturell kompetent handelnder Mensch:
a) bin ich mir bewusst, dass ich Menschen, die anders kulturell programmiert sind, nicht automatisch nach meinem Bewertungsraster beurteile. Mein Bewertungsraster versagt dort, wo Menschen dieses Raster nicht kennen.
b) weise ich darauf hin, welche Bedeutung Zeit bei uns hat und wie Zuschreibungen geschehen.
c) unterstütze ich Andere im Kennenlernen und Angewöhnen unseres Zeitschemas und den Gepflogenheiten (eg Wieviel früher sollte ich für einen geschäftlichen Termin erscheinen? Wie weit im Voraus mache ich einen privaten Termin ab?)
d) bin ich mir bewusst, wo es andere Organisationskriterien gibt die in einer Situation angewendet werden um Prioritäten zu setzen oder Handlungsreihenfolgen festzusetzen.